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Bremer Forscher untersuchen die Arbeitsweise des hochkomplexen Immunsystems auch mit Blick auf mögliche Krebstherapien
Lebewesen wie Menschen sind laufend Umwelteinflüssen ausgesetzt, von denen manche die Gesundheit bedrohen. So gibt es beispielsweise Schadstoffe, Bakterien, Pilze, Viren und Parasiten wie Bandwürmer, die krank machen können. Um dies zu verhindern, hat die Natur körpereigene Mittel und Wege entwickelt, die unter dem Begriff Immunsystem zusammengefasst werden. Gefordert ist das Immunsystem nicht nur bei Kontakten des Organismus mit Krankheitserregern, sondern zum Beispiel auch, wenn Zellen unkontrolliert wachsen und die Gefahr einer Krebserkrankung besteht. Im besten Fall gelingt es dem Immunsystem, dies zu verhindern. Zu den Grundlagenforschern, die sich um ein besseres Verständnis der Zusammenhänge und Ansätze für Immuntherapien zur Krebsbekämpfung bemühen, gehören Wissenschaftler um den Biochemiker Professor Dr. Sebastian Springer von der Jacobs University.
Die Entdeckung der Zellen
Ohne detailliertes Wissen über den Aufbau und die Funktionsweise von Zellen wären die modernen Forschungserfolge nicht möglich. Dass alle Lebewesen aus Zellen bestehen, ist – legt man die gesamte Wissenschaftsgeschichte zugrunde – eine vergleichsweise junge Erkenntnis. Als der englische Universalgelehrte Robert Hooke 1665 eine Scheibe Kork mit 30-facher Vergrößerung unter einem Mikroskop betrachtete, stellte er fest, dass sie aus winzigen Kästchen beziehungsweise Zellen aufgebaut war. Hooke war der Erste, der Zellen beschrieb, nahm aber fälschlicherweise an, dass sie nur für Kork typisch seien. Erst die beiden deutschen Biologen Matthias Schleiden und Theodor Schwann formulierten im 19. Jahrhundert die Idee, dass alle Lebewesen aus Zellen aufgebaut seien.
Tiefe Einblicke ins Innere der Bausteine aller Lebewesen
Fachleute schätzen, dass der menschliche Körper aus ungefähr 100 Billionen Zellen besteht, die mehr als 300 verschiedenen Typen zugeordnet werden und unterschiedliche Aufgaben übernehmen. So gibt es beispielsweise Ei- und Samenzellen sowie unterschiedliche Typen von Haut-, Knochen-, Bindegewebs-, Nerven-, Sinnes-, Muskel- und Blutzellen. Wie lange einzelne Zellen leben, hängt von ihrer Aufgabe beziehungsweise von ihrem Typ ab. Während Hautzellen schon nach wenigen Wochen erneuert werden, bringen es Knochenzellen auf ein Alter von mehreren Jahrzehnten. Obwohl die Zellen winzig sind – typisch sind Durchmesser zwischen etwa 0,01 und 0,1 Millimeter –, besitzen Wissenschaftler inzwischen selbst über ihre Bestandteile und die Vorgänge in ihrem Innern genaue Kenntnisse. Gemeinsam ist allen Zellen von Lebewesen, dass sie von einer Membran umhüllt sind und dass sich in ihrem Innern eine zähe, als Cytosol bezeichnete Flüssigkeit sowie sogenannte Ribosomen befinden. Letztere haben die Aufgabe, mithilfe der Bauanleitungen, die ihnen das in der Zelle enthaltene Erbgut liefert, Eiweißstoffe (Proteine) herzustellen. Diese Stoffe dienen nicht nur als Baumaterial für Zellen, sondern erfüllen noch weitere wichtige Funktionen.
Eiweißstoffe erfüllen viele unterschiedliche Zwecke
Besonders viele Ribosomen sind in Zellen der Bauchspeicheldrüse enthalten, denn dort müssen viele Proteine gebildet werden, darunter sogenannte Enzyme, das heißt Proteine, die biochemische Reaktionen in Gang setzen. An den Darm werden Verdauungsenzyme abgegeben, um zum Beispiel Kohlenhydrate und Fette aus der Nahrung zu spalten. Auch beim Insulin, das von bestimmten Zellen der Bauchspeicheldrüse ans Blut abgegeben wird, handelt es sich um ein Protein. Als Hormon, das heißt biochemischer Botenstoff, hilft es, den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Hormone sind Wirkstoffe, die im menschlichen Körper viele Aufgaben erfüllen und an unterschiedlichen Orten gebildet werden, so etwa in speziellen Drüsen wie der Schilddrüse oder auch in besonderen Zellen und Geweben wie dem des Magen-Darm-Trakts. Sie steuern unter anderem den Stoffwechsel, die Verdauung, die Körpertemperatur, das Wachstum und das Gefühls- und Sexualleben.
Wie das Immunsystem Gesundheitsgefahren begegnet
Die Fähigkeit von Zellen, sich zu teilen und auf diese Weise neue Zellen hervorzubringen, ist die Grundlage der Fortpflanzung. Und sie ist dafür verantwortlich, dass Lebewesen wie Pflanzen, Tiere oder auch Menschen, die aus vielen Zellen aufgebaut sind, wachsen können und in der Lage sind, sich zu regenerieren, also zum Beispiel verletztes Gewebe zu ersetzen. An der Bekämpfung und Beseitigung schädlicher Einflüsse, etwa eingedrungener Krankheitserreger oder unkontrolliert wachsender körpereigener Zellen, sind verschiedene Zelltypen beteiligt. Wenn es für den Organismus zum Beispiel gilt, krank machende Viren zu bekämpfen, spielen von den weißen Blutkörperchen (Leukozyten), also bestimmten Blutzellen, gebildete Eiweißmoleküle, sogenannte Antikörper, eine wichtige Rolle. Sie können sich an Viren binden und diese zu Körperzellen befördern, wo sie unschädlich gemacht werden. Außerdem gibt es unter den verschiedenen Arten weißer Blutkörperchen spezielle, sogenannte T-Zellen, die laufend durch den Körper wandern und auf den Membranen von Körperzellen nach Anzeichen dafür suchen, dass die Zellen von Viren befallen sind. Wenn sie befallene Zellen erkannt haben, können die T-Zellen sie zerstören oder aber mit Botenstoffen andere Zellen herbeirufen, die sicherstellen, dass nicht noch weitere Körperzellen befallen werden.
Krebszellen weisen besondere Eigenschaften auf
Krebserkrankungen können entstehen, wenn Zellen des Körpers infolge von Veränderungen in ihrem Erbgut ungehindert wachsen und sich vermehren, mit der Folge, dass sich sogenannte Tumoren, das heißt Ansammlungen solcher Zellen, bilden. Als bösartig gelten Tumoren dann, wenn sie die Neigung aufweisen, Zellen abzusondern und sich auf diese Weise in andere Bereiche des Körpers auszubreiten, also Metastasen hervorzubringen. Die Veränderungen im Erbgut, das heißt Mutationen, die Krebs verursachen, können zufällig erfolgt, aber auch Ergebnis bestimmter äußerer Einflüsse sein. Der Biochemiker Sebastian Springer nennt als Beispiel die in Tabakrauch und Abgasen enthaltene krebserregende Substanz Benzpyren, die sich im Erbgut, der DNA (Desoxyribonukleinsäure), ablagern kann. Mutationen haben Auswirkungen auf die Herstellung von Proteinen, für die das Erbgut die Bauanleitungen liefert, das heißt: Bestimmte Proteine werden gar nicht mehr oder aber vermehrt hergestellt oder funktionieren nicht mehr so wie normalerweise üblich.
T-Zellen können Tumorzellen zerstören
Dass T-Zellen auch die Fähigkeit besitzen, Tumorzellen zu zerstören, ist erst seit einigen Jahren bekannt. Die entscheidende Voraussetzung dafür, dass dies geschieht und auf diese Weise die Bildung großer Tumoren verhindert wird, ist jedoch nach den Worten von Springer, dass die T-Zellen bei ihrer Wanderung durch den Körper solche mutierten Zellen überhaupt erkennen. Dies ermöglichten spezielle Proteine an deren Zelloberfläche, die sogenannten MHC-Proteine. Sie informierten das Immunsystem über den Zustand von Zellen und zeigten zum Beispiel an, ob die Zelle von einem Virus befallen oder Bestandteil eines Tumors sei. Zellen bestimmter Krebsarten sind nach den Angaben des Bremer Biochemikers daran zu erkennen, dass an die MHC-Proteine ganz bestimmte Peptide gekoppelt sind. Peptide sind Verbindungen, die mindestens zwei Aminosäuren enthalten. Laut Springer sind MHC-Proteine grundsätzlich auf allen Zellen im Körper zu finden; auf jeder einzelnen Zelle gebe es etwa 10.000 davon. Um zum Beispiel Krebszellen mit den für sie charakteristischen Peptiden zu erkennen, verfügten die T-Zellen über entsprechende Rezeptoren.
Bremer Beiträge zur Grundlagenforschung
Dass Wissenschaftler das Wissen über die Funktionsweise des Immunsystems auch nutzen möchten, um neuartige Therapien zu entwickeln und zum Beispiel gezielter gegen bestimmte Krebserkrankungen vorgehen zu können, liegt auf der Hand. Springer und seine Mitarbeiter liefern seit Jahren Beiträge zur Grundlagenforschung. So haben sie zum Beispiel einen Weg aufgezeigt, wie sich in sehr kurzer Zeit MHC-Proteine mit bestimmten Peptiden herstellen lassen. Ein Beispiel für den möglichen Nutzen solcher Forschungserfolge: Gibt man solche Proteine in eine Blutprobe, binden sich T-Zellen mit entsprechenden Rezeptoren daran. Dies eröffnet die Möglichkeit, T-Zellen zu isolieren, die sich bei der Bekämpfung bestimmter Tumoren einsetzen lassen.
Experimente zu neuartigen Krebstherapien
Wie Springer erklärt, verfolgen Wissenschaftler bei der Immuntherapie von Krebserkrankungen derzeit verschiedene, zum Teil noch im experimentellen Stadium befindliche Ansätze. Einer bestehe darin, sich die Eigenschaft von T-Zellen, sich an MHC-Proteine mit den für die Krebszelle charakteristischen Peptiden zu binden, zunutze zu machen. Nachdem sie sich an die Krebszelle gebunden habe, sende die T-Zelle Signale aus, die die Krebszelle veranlassten, sich aufzulösen. Beim Therapieansatz gehe es darum, die T-Zell-Antwort zu verstärken. Dazu werden nach den Worten von Springer aus einem entfernten Tumor T-Zellen isoliert, um herauszufinden, welche der verschiedenen Varianten dieser Zellen bei der Tumorbekämpfung besonders erfolgversprechend sind. Genau diese Varianten würden dann ausgewählt, vermehrt und schließlich in größerer Zahl an den Patienten zurückgegeben. Vielversprechend sei diese Therapie nicht zuletzt wegen der geringen Nebenwirkungen. Ein Problem sei für die Forschung allerdings nach wie vor, dass es Tumoren häufig gelinge, das Immunsystem erfolgreich zu unterdrücken.
Antikörper helfen bei Bekämpfung von Tumoren
Bereits praktiziert wird laut Springer bei bestimmten Krebserkrankungen der gezielte Einsatz von Antikörpern. Diese können sich an für Krebszellen charakteristische Proteine, die von Fachleuten als Tumor-Antigene bezeichnet werden, binden. Wenn dies geschehen ist, führt es nach den Angaben des Biochemikers dazu, dass bestimmte weiße Blutkörperchen, die sogenannten „natürlichen Killerzellen“ (NK-Zellen), die Krebszellen erkennen und ähnlich wie die oben erwähnten T-Zellen Signale aussenden, die die Auflösung der Krebszellen veranlassen. Mit anderen Worten: Patienten erhalten bestimmte Antikörper, um zu erreichen, dass die Krebszellen absterben.
Was einen gesunden Lebensstil kennzeichnet
Wie Springer betont, gibt es inzwischen eine Vielzahl von Ideen für Immuntherapien. Die Behandlung von Erkrankungen ist jedoch nur eine Sache, die Vermeidung eine andere. Dass Menschen einiges tun können, um die Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines Krebsleidens zu verringern, steht nach den Worten des Bremer Wissenschaftlers außer Frage. Vorteilhaft seien erwiesenermaßen der Verzicht aufs Rauchen, das Bemühen um ein gesundes Gewicht, eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse und das Sporttreiben. Wer sich für die Ausführungen Springers zum Thema Krebs und Immuntherapien interessiert, hat auch die Möglichkeit, sich das Video eines Vortrags im Bremer Haus der Wissenschaft anzusehen. Es ist unter der Internetadresse https://www.youtube.com/watch?v=5jNefNalXh8 zu finden.
(Autor: Dr. Jürgen Wendler, Stand: November 2022)
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